Weiterentwicklung der Bildungskarenz notwendig
Die Bildungskarenz ermöglicht die Aus- und Weiterbildung von Menschen, die bereits in Beschäftigung stehen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern möchten. Sie beziehen dabei Weiterbildungsgeld aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung. 2021 nahmen durchschnittlich rund 14.000 Personen dieses arbeitsmarktpolitische Instrument in Anspruch – doppelt so viele wie noch 2010. Die Ausgaben im Jahr 2021 betrugen 295,7 Millionen Euro.
In seinem heute veröffentlichten Bericht "Bildungskarenz" sieht der Rechnungshof einigen Reformbedarf. Denn die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung waren so gering, dass die Bildungskarenz auch für wenig aufwändige, arbeitsmarktpolitisch wenig relevante Kursangebote und für mit öffentlichen Mitteln finanzierte Auszeiten aus dem Arbeitsprozess genutzt werden konnte.
Die Bildungsteilzeit erwies sich als das deutlich kostengünstigere Instrument. Unter den Beziehenden war die Beschäftigungsquote nach der Bildungsteilzeit tendenziell höher. Der überprüfte Zeitraum umfasste die Jahre 2019 bis Mitte 2022.
Die Bildungskarenz wurde 1998 eingeführt. Unselbstständig Beschäftigte können sich zum Zweck der Aus- und Weiterbildung bis zu einem Jahr freistellen lassen. In der Zeit der Karenzierung erhält die Person ein Weiterbildungsgeld, das dem Arbeitslosengeld entspricht, grundsätzlich 55 Prozent des vorangegangenen Nettoeinkommens. Das Arbeitsmarktservice (AMS) ist für die Abwicklung zuständig.
Ursprünglich war eine Vor-Beschäftigungszeit von drei Jahren notwendig, um Bildungskarenz beantragen zu können. Mit den Novellen der Jahre 2008 und 2009 wurde diese auf sechs Monate herabgesetzt – und die Bildungskarenz zugänglicher gemacht. Das Modell erfreute sich immer größerer Beliebtheit: Die Anzahl von Beziehenden verdoppelte sich von 2010 bis 2021.
Die Ausgaben für Weiterbildungsgeld waren im Jahr 2021 fast dreimal so hoch wie 2010. Im Zuge der COVID-19-Pandemie nahm das Auszahlungsvolumen um 40 Prozent zu. Mit Sozialversicherungsbeiträgen zahlte das AMS im Jahr 2021 in Summe rund 295,7 Millionen Euro aus. Insgesamt wurde das Instrument vergleichsweise stärker von Personen mit bereits hohem Bildungsniveau genutzt. Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen nahmen die Bildungskarenz am stärksten in Anspruch.
Geringe inhaltliche Anforderungen
Um Weiterbildungsgeld beziehen zu können, müssen die Antragstellerinnen und Antragsteller in einem bestimmten Stundenausmaß an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Das Gesetz definiert jedoch die Art der Weiterbildungsmaßnahme nicht und enthält geringe inhaltliche Anforderungen. Ausgeschlossen sind lediglich Kurse, die klaren Hobbykurs-Charakter haben. Das AMS verlangte bei Studien Leistungsnachweise über den Studienerfolg, bei Kursen allerdings nicht standardmäßig eine Teilnahmebestätigung. Ein Nicht-Nachweis führte in der Praxis nur in Ausnahmefällen zu Rückforderungen von Weiterbildungsgeldern.
Der Rechnungshof erkennt das Potenzial des Instruments der Bildungskarenz an, da es geeignet ist, bildungsinteressierten Personen eine materielle Absicherung für Aus- bzw. Weiterbildung zu bieten und damit das individuelle Fortkommen auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen sowie auch einen gesellschaftlichen Nutzen für den Wirtschaftsstandort zu schaffen. Er gibt zu bedenken, dass es für wenig aufwändige, arbeitsmarktpolitisch wenig relevante Kurse und für mit öffentlichen Mitteln finanzierte Auszeiten aus dem Arbeitsprozess genutzt werden kann. Der Rechnungshof empfiehlt, die gesetzlichen Bestimmungen zu überarbeiten. Ziel wäre eine klare Ausrichtung auf Weiterbildungen, die die Position der Beziehenden auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Mehrheit verbesserte Einkommenssituation nach Bildungskarenz nicht
Wie sich der Arbeitsmarktstatus und die Einkommenssituation nach der Bildungskarenz auswirkten, wertete das AMS im Zuge der Überprüfung des Rechnungshofes aus. Im Schnitt waren 78 Prozent der Beziehenden drei Jahre danach in Beschäftigung. Im Durchschnitt waren weniger Frauen im Job als Männer. Durchschnittlich hatten 53 Prozent der Beziehenden drei Jahre nach der Bildungskarenz ein höheres Einkommen. Da aber zwei Drittel der Beziehenden ein Jahr nach der Bildungskarenz ihr Einkommen nicht verbessert hatten, gibt der Rechnungshof zu bedenken, dass der Ausstieg aus der Arbeitstätigkeit ungünstige Effekte auf die Arbeitsmarktposition der Betroffenen haben kann.
Beschäftigungsquote nach Bildungsteilzeit besser
Im Unterschied zur Bildungskarenz wird das Beschäftigungsverhältnis bei der Bildungsteilzeit nicht unterbrochen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reduzieren dabei die Arbeitszeit zum Zweck der Weiterbildung um bis zu 50 Prozent. Die Ausgaben im Jahr 2021 betrugen rund 24,1 Millionen Euro. 2021 waren durchschnittlich 4.063 Menschen in Bildungsteilzeit und bezogen Bildungsteilzeitgeld. Tendenziell wiesen Personen nach der Bildungsteilzeit eine höhere Beschäftigungsquote aus als Personen nach der Bildungskarenz. Die Einkommensentwicklung war bei der Bildungsteilzeit ebenfalls günstiger als bei der Bildungskarenz. 66 Prozent der Beziehenden verdienten drei Jahre nach der Bildungsteilzeit mehr als davor.
Anteil von Frauen in Bildungskarenz verdreifacht
Drei Viertel der durchschnittlich 13.912 Beziehenden von Weiterbildungsgeld im Jahr 2021 waren Frauen – deren Anzahl hatte sich seit 2010 verdreifacht. Frauen bezogen im Mittel auch mehr Weiterbildungsgeld als Männer: 12.050 Euro versus 8.074 Euro, was dadurch bedingt war, dass Frauen länger in Bildungskarenz waren als Männer.
Ab 2017 wurde die Bildungskarenz zunehmend an die Elternkarenz angeschlossen. Am Markt traten verstärkt Kursanbieter auf, die unter dem Slogan "Baby-Pause- Verlängern" mit der finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Mitteln warben. Die Anzahl der Personen, die unmittelbar nach der Elternkarenz in Bildungskarenz ging, verzehnfachte sich innerhalb von nur vier Jahren. 99 Prozent der Beziehenden nach der Elternkarenz im Jahr 2021 waren Frauen – in absoluten Zahlen sind das 7.172 Personen.
2021 kamen mehr als die Hälfte der Frauen, die eine Bildungskarenz begannen, unmittelbar aus der Elternkarenz. Unter Verweis auf die geringen Anforderungen an die Inhalte der Weiterbildung empfiehlt der Rechnungshof, eine ambitionierte Weiterbildungsverpflichtung festzulegen.
Presseinformation: Bildungskarenz
- pdf Datei:
- 2,524.6 KB
- Umfang:
- 86 Seiten
Bericht: Bildungskarenz
Der Rechnungshof überprüfte von Mai bis August 2022 die arbeitsmarktpolitischen Instrumente Bildungskarenz (unter Bezug von Weiterbildungsgeld) und Bildungsteilzeit (unter Bezug von Bildungsteilzeitgeld). Ziel war es, zu beurteilen,
• ob die Instrumente am Bedarf des Arbeitsmarktes orientiert waren und
• ob die Voraussetzungen für deren Inanspruchnahme und die Abwicklung einen zieladäquaten, treffsicheren Einsatz der finanziellen Mittel gewährleisteten.
Überprüfte Stellen waren das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft und das Arbeitsmarktservice. Der überprüfte Zeitraum umfasste im Wesentlichen die Jahre 2019 bis Mitte 2022; um längerfristige Entwicklungen aufzuzeigen, zog der Rechnungshof zusätzlich Daten ab 2010 heran.