Rechnungshof sieht Potenzial zur Vereinfachung bei System der Rot-Weiß-Rot-Karte

05. April 2024 – Kartenvarianten sind schwer voneinander abgrenzbar

Die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) wurde 2011 mit dem Ziel eingeführt, die Neuzuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten nach Österreich zu ermöglichen. Insgesamt sollte der Beschäftigungsstandort Österreich damit attraktiver werden. Das System dahinter ist jedoch komplex und für Antragstellende schwer verständlich, stellt der Rechnungshof in seinem heute veröffentlichten Bericht „Rot-Weiß-Rot-Karte und Blaue Karte EU“ fest. Der Grund für die Komplexität: Die verschiedenen Kartenvarianten – es gibt fünf Varianten der RWR-Karte und die Blaue Karte EU – sind schwer voneinander abgrenzbar, zumal es bei den ausbildungs- und kenntnisbezogenen Anforderungen vielfach Überschneidungen gibt und sich die Zielgruppen überlappen.

Im Jahr 2022 gab es 7.602 aufrechte Karten und damit fast 3,5-mal so viele wie 2017. Der deutliche Anstieg bei den Kartenerteilungen entsprach der gestiegenen Anzahl offener Stellen, das heißt dem Bedarf auf dem Arbeitsmarkt und der konjunkturellen Entwicklung. Der überprüfte Zeitraum umfasste hinsichtlich der Verfahrensabwicklung schwerpunktmäßig das Jahr 2022 und das erste Quartal 2023; hinsichtlich des Systems und der Inanspruchnahme der RWR-Karte und Blauen Karte EU das Jahr 2011 (Einführung) bis einschließlich erstes Quartal 2023.

Die Zuwanderung von qualifizierten Drittstaatsangehörigen ist eine von vielen Maßnahmen zur Minderung des Fachkräftemangels. Die RWR-Karte und die Blaue Karte EU sind als kombinierte Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen konzipiert. Sie berechtigen zu einem – in der Regel auf zwei Jahre – befristeten Aufenthalt in Österreich und zur Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber. Eine Antragstellung ist auch durch den künftigen Arbeitgeber im Inland möglich.
Das Instrument der RWR-Karte wurde seit seiner Einführung vielfach novelliert, überwiegend mit dem Ziel, Hürden für qualifizierte Zuwanderung abzubauen. Welche Wirkungen die gesetzlichen Änderungen in der Praxis hatten, dazu gab es jedoch kaum objektivierte Erkenntnisse.

Sechs Kartenvarianten schwer voneinander abgrenzbar

Drittstaatsangehörigen stehen für die Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich fünf Varianten der RWR-Karte und die Blaue Karte EU zur Verfügung, sofern sie nicht in ein spezielles, in der Regel vereinfachtes Bewilligungsregime fallen (etwa Forscher, Diplomaten, Künstler). Die Kartenvarianten unterscheiden sich durch unterschiedlich strenge Anforderungen, insbesondere in Hinblick auf Ausbildung, Berufserfahrung, Mindesteinkommen, Sprachkenntnisse und Alter.

Das System kombiniert Kriterien, die aus arbeitsmarktpolitischer Sicht grundsätzlich nachvollziehbar sind. Es berücksichtigt gleichzeitig die Verfügbarkeit von Arbeitskräften am österreichischen Arbeitsmarkt. Die verschiedenen Kartenvarianten sind allerdings schwer voneinander abgrenzbar. Für Antragstellende ist es schwierig, zu erkennen, welche Variante der RWR-Karte sie beantragen sollen. Gleichzeitig ist das System insofern unflexibel, als der Antrag für eine konkrete Variante gestellt werden muss. Mit besonders hohen Qualifikationen in einer Dimension (zum Beispiel besonders hohem Einkommen) sind Defizite in einer anderen Dimension kaum ausgleichbar. Ein Sprachniveau ab B2 (fortgeschrittene Sprachkenntnisse) führt in keiner Variante zu einer höheren Bewertung.

Im Sinne der Transparenz und besseren Verständlichkeit sind Schritte in Richtung einer Vereinfachung sowie allenfalls auch Flexibilisierung des Systems zu setzen, empfiehlt der Rechnungshof: Möglich sind eine klarere Strukturierung der Voraussetzungen und deutlichere Abgrenzung der Kartenvarianten voneinander, zum Beispiel durch eine klarere Abgrenzung der Zielgruppen und einer darauf abgestimmten Konzeption und Gewichtung der Kriterien. Denkbar ist aber auch ein flexibleres System: Dieses könnte als Basis die Erfüllung von Mindestkriterien vorsehen, und in einem Punktesystem mittels einer Gesamtbeurteilung die Kriterien zusammenführen, die für eine Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt besonders relevant sind. Dazu zählen beispielsweise formale Ausbildung, Gehalt und Sprachkenntnisse.

Deutlicher Anstieg bei erteilten Karten

Im Jahr 2022 wurden insgesamt 5.157 RWR-Karten und Blaue Karten EU erteilt. Der Bestand von aufrechten Karten im Jahr 2022 betrug 7.602. Damit gab es mehr als 4,5- mal so viele Karten wie 2012, einem Jahr nach Einführung der RWR-Karte, und fast 3,5-mal so viele wie im Jahr 2017. Die RWR-Karte für Fachkräfte in Mangelberufen und die RWR-Karte für sonstige (unselbstständige) Schlüsselkräfte waren die am stärksten in Anspruch genommenen Kartenvarianten. Sie machten 69 Prozent aller Karten im Jahr 2022 aus.

Die mit Abstand höchste Anzahl an Kartenerteilungen erfolgte 2022 – aber auch in den Jahren davor – in Wien, nämlich 40 Prozent. Im Jahr 2022 wurden RWR- Karten und die Blaue Karte EU zu einem großen Teil, 47 Prozent, für die Ausübung technischer Berufe (insbesondere von IT-Berufen) erteilt; für Gesundheitsberufe waren es neun Prozent. Das durchschnittliche Bildungsniveau der Personen lag über jenem der unselbstständig Beschäftigten in Österreich insgesamt: 84 Prozent hatten einen zumindest der Matura vergleichbaren Bildungsabschluss. Zwei Drittel der Karten wurden an Männer ausgestellt. Staatsangehörige von insgesamt 91 Nationen erhielten 2022 eine RWR-Karte oder Blaue Karte EU. Die drei häufigsten Staatsangehörigkeiten waren Bosnien und Herzegowina, Indien und Russische Föderation. Inwieweit Karten für jene Berufe erteilt wurden, in denen der höchste Bedarf bestand, war mangels Analysen unklar.

Zum Thema Fachkräftemangel wird der Rechnungshof einen eigenen Bericht veröffentlichen.

Komplexe Behördenwege machen gemeinsame IT-Anwendung notwendig

Die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer RWR-Karte oder Blauen Karte EU erfolgte durch zwei Behörden, im Fall der Antragstellung im Ausland drei Behörden. Diese Komplexität entstand aus dem Erfordernis, sowohl sicherheitspolizeiliche als auch arbeitsmarktrechtliche Voraussetzungen zu prüfen. Die hauptbeteiligten Behörden – Aufenthaltsbehörden und das Arbeitsmarktservice (AMS) – wickelten ihren Verfahrensteil in getrennten IT-Systemen ab, die zueinander keine Schnittstellen hatten. Es stand keine gemeinsame IT-Plattform zur Verfügung. Ansatzpunkte zur Vereinfachung sieht der Rechnungshof daher in der gemeinsamen Nutzung der Abwicklungsplattform „Anwendung für Niederlassung und Aufenthalt“ (AnNA). Dieses zentrale IT-System steht den Aufenthaltsbehörden seit Ende 2022 zur Verfügung. Das AMS war jedoch nicht an AnNA angebunden. Die Informationen und Unterlagen wurden zwischen den Behörden per E-Mail übermittelt, in Einzelfällen auch per Post.
Der Rechnungshof empfiehlt dem Innenministerium, Arbeitsministerium und AMS, in Abstimmung mit den Bundesländern AnNA zu einem gemeinsamen Abwicklungs- und Controllinginstrument der beteiligten Behörden auszubauen. Dieses sollte eine gesicherte, weitgehend automatisierte Daten- und Dokumentenübermittlung zwischen Aufenthaltsbehörden untereinander und zum AMS ermöglichen. AnNA sollte auch ein standardisiertes Controlling der Verfahrensdauern von der Antragstellung bis zur Erledigung gewährleisten.

Keine Daten zur Verfahrensdauer

Das Innenministerium verfügte zur Zeit der Rechnungshof-Prüfung über keine Daten zur Gesamtdauer der Kartenverfahren. Ein Gesamtcontrolling der Verfahrensabwicklung bestand nicht. Eine Auswertung des Rechnungshofes auf Basis der verfügbaren Daten deutet darauf hin, dass in mehr als 40 Prozent der Fälle die gesetzlich vorgesehene Dauer von acht Wochen überschritten wurde.


Presseinformation: Rot-Weiß-Rot-Karte und Blaue Karte EU

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3,226.4 KB
Umfang: 
106 Seiten

Bericht: Rot-Weiß-Rot-Karte und Blaue Karte EU

Der Rechnungshof überprüfte von Jänner bis Mai 2023 die Instrumente der kriterienorientierten Zuwanderung Rot-Weiß-Rot-Karte und die Blaue Karte EU. Ziel war es, zu beurteilen,
• wie sich die Inanspruchnahme der Instrumente mit dem sich verschärfenden Fachkräftebedarf in Österreich veränderte und
• ob die Ausgestaltung der Voraussetzungen für den Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte und zur Blauen Karte EU wie auch die Administration dieser Instrumente in der Praxis geeignet waren, die erwünschte Beschäftigung von Fachkräften aus Drittstaaten zu unterstützen.
Überprüfte Stellen waren das Bundesministerium für Inneres, das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft sowie das Arbeitsmarktservice. Der überprüfte Zeitraum umfasste hinsichtlich
• der Verfahrensabwicklung schwerpunktmäßig das Jahr 2022 und das erste Quartal 2023 und
• des Systems und der Inanspruchnahme der Rot-Weiß-Rot-Karte und der Blauen Karte EU das Jahr 2011 (Einführung) bis einschließlich erstes Quartal 2023.

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