Unabhängigkeit bei Zulassungsverfahren von Pestiziden nicht ausreichend gewährleistet

12. Juli 2024 – Personelle Verflechtungen bei BAES und AGES

Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft kann die Boden- und Wasserqualität sowie die Biodiversität und Ökosysteme beeinträchtigen. Rückstände dieser chemischen Pflanzenschutzmittel können zudem auch in Lebensmittel gelangen. 2021 wurden hierzulande bei Pestizidrückstandskontrollen von Lebensmitteln 32 von 1.798 Proben als gesundheitsschädlich oder für den menschlichen Verzehr ungeeignet beurteilt; davon stammten zwei aus inländischer Produktion.

In ihrer „Farm to Fork“-Strategie und in der Biodiversitätsstrategie zielt die Europäische Union darauf ab, chemische Pflanzenschutzmittel bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Die Umsetzung dieser Ziele ist in Österreich bisher noch nicht ausreichend, wie der Rechnungshof in seinem heute veröffentlichten Bericht „Pestizideinsatz in der Landwirtschaft“ feststellt. Verbesserungsbedarf sieht er insbesondere bei der Datenlage, den Zulassungsverfahren und den Kontrollen. Die Prüfung umfasste die Jahre 2017 bis 2021.

Datenlage über Verkauf und Anwendung mangelhaft

Aufzeichnungen über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wurden von den Landwirtinnen und Landwirten individuell geführt und nicht zum Monitoring des Pestizideinsatzes herangezogen. Das Landwirtschaftsministerium und das Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES) veröffentlichten jährlich Daten zu den in Verkehr gebrachten Pestiziden. Allerdings waren die tatsächlich eingesetzten Mengen an Wirkstoffen und Pestiziden aus den Daten nicht ablesbar.

Importe von Pflanzenschutzmitteln wie Internetkäufe oder grenzüberschreitende Eigenimporte von landwirtschaftlichen Verwendern wurden in den Statistiken nicht berücksichtigt. Weiters ließen die in Verkehr gebrachten Mengen an Wirkstoffen aufgrund der unterschiedlichen Toxizität keine Aussagen über deren Risiko für Mensch und Umwelt zu. Der Rechnungshof weist darauf hin, dass in Österreich Wirkstoffe zum Einsatz kamen, bei denen Gesundheitsbedenken bestätigt waren.

Vor diesem Hintergrund ist eine transparente, zeitnah verfügbare Datenlage über die Einsatzmengen von Pflanzenschutzmitteln besonders wichtig.

Personelle und organisatorische Verflechtungen bei Zulassungsverfahren

Die Bewertung der Zulassungsanträge für Pflanzenschutzmittel hat unabhängig, objektiv und transparent zu erfolgen. In Österreich fehlte im überprüften Zeitraum die Unabhängigkeit der Zulassungs- und der Bewertungsstelle. Die nationale Zulassungsstelle für Pflanzenschutzmittel in Österreich ist das BAES, eine dem Landwirtschaftsministerium nachgeordnete Dienststelle. Es bediente sich bei den Zulassungsverfahren in personeller und organisatorischer Hinsicht der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES). Diese Gesellschaft steht zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes, ihre Anteile werden vom Landwirtschafts- und vom Gesundheitsministerium verwaltet.

Der Rechnungshof sieht aufgrund dieser Verflechtungen zwischen dem BAES und der AGES keine klare Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement im österreichischen Zulassungssystem von Pflanzenschutzmitteln. Die Unabhängigkeit der Fachabteilungen der AGES, die die Bewertung durchführten, war nicht gewährleistet. Gegenseitige Einflussnahmen zwischen der Risikobewertung und dem Risikomanagement im Zuge der Entscheidungsfindung konnten nicht ausgeschlossen werden.

Für den Rechnungshof ist auch nicht nachvollziehbar, wie kritische Fachbeurteilungen der AGES durch Risikominimierungsmaßnahmen so weit ausgeglichen werden konnten, dass eine sichere Verwendung der Pflanzenschutzmittel gewährleistet war.

Mehr Notfallzulassungen als andere EU-Mitgliedstaaten

Der Rechnungshof weist in seinem Bericht auf die im EU-Vergleich große Anzahl von Notfallzulassungen in Österreich hin. Darunter fallen auch besonders gefährliche, in der EU nicht mehr zugelassene Wirkstoffe. EU-Mitgliedstaaten können diese in Ausnahmefällen für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung von höchstens 120 Tagen zulassen. Ein derartiger „Notfall“ tritt etwa bei nicht anders kontrollierbarem Schädlingsbefall ein.

Speziell im untersuchten Zeitraum, 2017 bis 2021, gab es einen starken Anstieg von Notfallzulassungen. Die Prüferinnen und Prüfer beurteilen die Entwicklung der Notfallzulassungen kritisch, weil dadurch strengere Standard-Zulassungsverfahren umgangen werden konnten. Das BAES begrenzte die Zahl der Notfallzulassungen im Falle wiederholter Beantragungen nicht und erteilte im überprüften Zeitraum für 49 Pflanzenschutzmittel wiederholt eine Notfallzulassung in zumindest drei aufeinanderfolgenden Jahren. 21 Pflanzenschutzmittel erhielten eine Notfallzulassung in allen fünf Jahren.

Der Rechnungshof führt dies insbesondere auf die Schwächen im System der Alternativenprüfungen durch die AGES zurück. Antragsteller hatten zu dokumentieren, dass keine Alternativen des Pflanzenschutzes bestanden. Die AGES prüfte mögliche Alternativen bei wiederholten Anträgen auf Notfallzulassung jedoch nicht strenger als bei Erstanträgen.

Der Rechnungshof empfiehlt daher dem BAES, bei wiederholter Beantragung von Notfallzulassungen eine vertiefte Alternativenprüfung einzufordern. Wenn keine Alternativen durch die Antragsteller vorgelegt werden, sollte die AGES mit dieser vertieften Alternativenprüfung beauftragt werden.

Kontrollen der Pflanzenschutzmittel-Anwendung nicht einheitlich

Die amtlichen Kontrollen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln durch die Länder erfolgen nicht nach einheitlichen Standards. Entsprechende EU-Regelungen wurden hierzulande durch neun Landesgesetze mit jeweils unterschiedlichen Vorgaben umgesetzt. Der Bund regelt unter anderem die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Das Gesundheitsministerium berichtet an die EU als zentrale Behörde.

Exemplarisch für die Länder prüfte der Rechnungshof auch den Ablauf und den Inhalt der Kontrollen im Burgenland. Es betraute 2017 und 2018 ein privates Unternehmen mit der Überwachung der sachgerechten Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Ab 2019 übertrug es aus Kostengründen die Kontrolle an die für Gewässeraufsicht zuständige Abteilung des Landes. Schriftliche Festlegungen über den Ablauf und den Inhalt der Kontrollen bestanden nicht. Auch fehlten die Begehungen der landwirtschaftlichen Flächen. Weiters wurden keine Blatt-, Boden- oder Pflanzenschutzmittelproben mehr gezogen und auch die für die Zulassung erteilten Auflagen bei Pflanzenschutzmitteln nicht überprüft. 2020 und 2021 ging die Anzahl der kontrollierten Betriebe pandemiebedingt zurück.

Der Rechnungshof empfiehlt dem Landwirtschaftsministerium und dem Land Burgenland folglich, in der Bund-Länder-Koordinierungssitzung ein auf bundesweit einheitlichen Standards beruhendes Kontrollsystem der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu forcieren. Auf eine Entwicklung verbindlicher Kriterien für den integrierten Pflanzenschutz – wie etwa die Fruchtfolge oder die Verwendung resistenter Sorten – sollte das Land hinwirken.

Presseinformation: Pestizideinsatz in der Landwirtschaft


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132 Seiten

Bericht: Pestizideinsatz in der Landwirtschaft

Der Rechnungshof überprüfte von Mai bis August 2022 das Thema Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Prüfungsziele waren insbesondere die Beurteilung der Verfahren für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und der Datenlage über deren Anwendung, der Maßnahmen zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln, der Kontrollen im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen und der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln am Beispiel des Landes Burgenland. Der überprüfte Zeitraum umfasste die Jahre 2017 bis 2021.

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