Versorgungssicherheit und Risikoprävention: Behörden sollen ihre Einsichtsrechte bei Erdgasunternehmen durchsetzen

10.01.2025 – Rechnungshof prüfte Erdgas – Versorgungssicherheit

Ergasunternehmen  - Copyright: iStock.com/maho

Im Sinne der Versorgungssicherheit sind Erdgasunternehmen dazu verpflichtet, den zuständigen Behörden Daten zu übermitteln und Einsicht in Unterlagen – auch in Gaslieferverträge – zu gewähren. Österreich maß dem staatlichen Informationsbedarf zur Risikoprävention und Sicherung der Handlungsfähigkeit im Krisenfall jedoch wenig Gewicht bei. Weder das Klimaschutzministerium noch die E-Control setzten ihre Einsichtsrechte in Gaslieferverträge vollständig durch. Das zeigen die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes im heute veröffentlichten Bericht „Erdgas – Versorgungssicherheit“ auf. Trotz gegenläufiger Klima- und Energiestrategie wurde die Abhängigkeit von russischem Erdgas 2018 zeitlich verlängert und auch mengenmäßig vergrößert. Die Europäische Union (EU) forcierte den grenzüberschreitenden Ausbau der Energieinfrastruktur seit 2010 – ohne diesen hätte die Krise 2022 weniger gut bewältigt werden können. Überprüft wurden im Wesentlichen die Jahre 2018 bis 2022. Die Kündigung des langfristigen Liefervertrags durch die OMV Aktiengesellschaft (OMV) erfolgte nach dem überprüften Zeitraum.

Langfristige Verträge prägten Erdgas-Infrastruktur

Erdgas wird in Österreich überwiegend zur Erzeugung von Wärme – Prozesswärme in der Industrie, Raumwärme und Warmwasser – benötigt. Die Industrie kann Erdgas in Hochtemperaturprozessen kurzfristig nicht vollständig durch andere Energieträger ersetzen.

Österreich war 1968 das erste westliche Land, und die OMV das erste westeuropäische Unternehmen, das mit der vormaligen Sowjetunion ein Ab​kommen zu Erdgaslieferungen traf. Langfristige Verträge prägten die Gaswirtschaft und die Erdgas-Infrastruktur hierzulande für Jahrzehnte. Auch aufgrund der hohen Abhängigkeit von einem Lieferanten entstanden Barrieren für Veränderungen. Österreich hatte zudem eine bedeutende Rolle im Gastransit. Der Krieg in der Ukraine veränderte die Rahmenbedingungen grundlegend. Die Lieferausfälle infolge der russisch-ukrainischen Gaskonflikte 2006 und 2009 sowie die Annexion der Krim 2014 rückten die hohe Abhängigkeit Österreichs immer wieder in den Fokus. Die E-Control wies 2009 darauf hin, dass diese Abhängigkeit Bezugsmöglichkeiten einschränkte. Das Außenministerium hielt in Berichten der Jahre 2005 bis 2007 fest, dass die Energiepolitik ein immer gewichtigeres Instrument der russischen Außenpolitik zu werden scheine. Es war allerdings nicht erkennbar, dass die für das Energiewesen zuständigen Ministerien oder die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG), zu deren Portfolio die OMV zählt, daraus Schlussfolgerungen zogen.

Zeitgleich zum Beschluss der Klima- und Energiestrategie der österreichischen Bundesregierung (#mission2030), die eine Reduktion der Importabhängigkeit bei Energie vorsah, verlängerte die OMV 2018 ihre – im Dezember 2024 gekündigte – vertragliche Bindung an russisches Erdgas bis 2040 und erhöhte die jährliche Liefermenge um eine Milliarde Kubikmeter. Damit wurden widersprüchliche Signale ausgesandt.

Klimaschutzministerium und E-Control setzten Einsichtsrechte nicht vollständig durch

Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen sind vertraulich zu behandeln. Dennoch sind Erdgasunternehmen verpflichtet, dem Ministerium als zuständiger Behörde beziehungsweise der Regulierungsbehörde E-Control Daten zu übermitteln und Einsicht in Unterlagen, unter anderem auch in Gaslieferverträge, zu gewähren. Diese Meldepflichten wurden jedoch nicht vollständig durchgesetzt – bei Verstößen vorgesehene Geldstrafen wurden nicht verhängt.

Die E-Control konnte dem Rechnungshof nicht bestätigen, dass ihr alle Verträge und Vertragsbestandteile vollständig vorlagen. Teile des Langfristvertrags zwischen OMV und Gazprom waren großflächig geschwärzt. Dem Klimaschutzministerium lag dieser Langfristvertrag im überprüften Zeitraum nicht vor. Gerade auch in Anbetracht des Handlungsbedarfs im Jahr 2022 wäre dies von übergeordnetem öffentlichem Interesse gewesen.

Angemessene Reaktionen und Entscheidungen im Krisenfall erfordern verlässliche, aggregierte Daten über die Gasnachfrage, Speicherstände und Lieferungen. Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ein Monitoring zur Versorgungssicherheit durchzuführen. Mit lückenhaften beziehungsweise nicht aktuellen Daten waren jedoch weder Österreich noch die EU in einem Krisenfall gut vorbereitet. Der Rechnungshof empfiehlt, die bestehenden nationalen und EU-rechtlichen Informations-, Auskunfts- und Einsichtsrechte der Behörden bei Erdgasunternehmen durchzusetzen und effektiv anzuwenden.

Staatliche und gemeinwirtschaftliche Interessen angemessen berücksichtigen

Funktionierende Energiemärkte sowie eine nachhaltige und sichere Energie​versorgung zu leistbaren Preisen sind für Wirtschaft und Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Ab 2000 entwickelte sich auf EU-Ebene ein Regelwerk, das auch die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Erdgas sowie Maßnahmen zur Risikoabschätzung und Krisenprävention einschloss. Hinsichtlich des Informationsaustausches über Gaslieferungen im Rahmen von Langfristverträgen nahm Österreich bei der Erarbeitung der entsprechenden Verordnungen zur Gasversorgungssicherheit eine ablehnende Haltung ein. Österreich stützte sich dabei auf Stellungnahmen der Erdgasunternehmen und Wirtschaftsverbände. Der Rechnungshof empfahl dem Klimaschutzministerium, in der Verhandlungsposition, die Österreich in der EU-Ratsarbeitsgruppe Energie vertritt, neben der Expertise und den Anliegen der Erdgasunternehmen und ihrer Verbände auch staatliche und gemeinwirtschaftliche Interessen angemessen zu berücksichtigen. 

Gasversorgungssicherheit: Kooperation der handelnden Akteure im Krisenfall unverzichtbar

Der Bund war – vertreten durch das Finanzministerium – 100 Prozent-Eigentümer der ÖBAG, diese wiederum hielt 31,5 Prozent der Anteile an der börsenotierten OMV. Über den Aufsichtsrat und in der Hauptversammlung der OMV bestanden für die ÖBAG beziehungsweise für das Finanzministerium gewisse Steuerungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang merkt der Rechnungshof an: Bis Mitte 2022 erforderten der Abschluss sowie die Anpassung langfristiger Gaslieferverträge keine Zustimmung des Aufsichtsrats der OMV. Aufgabe der ÖBAG wäre es dabei gewesen, zu prüfen, ob der Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte risikoadäquat war.

Die ÖBAG sah die Gasversorgungssicherheit von ihrem eigenen Auftrag, der Sicherung des Wirtschaftsstandorts, nicht umfasst. Sie würde daher nur anlassbezogen im Auftrag des Finanzministeriums tätig. Aus Sicht des Rechnungshofes ist die Aufrechterhaltung der Energieversorgung jedoch unverzichtbar für den Wirtschaftsstandort Österreich; eine bloß anlassbezogene Befassung erachtet er als unzureichend.

Bei der Prüfung von Optionen zur Sicherstellung der Gasversorgung Österreichs verzichtete das Finanzministerium im Krisenjahr 2022 auf eine Kooperation mit dem fachzuständigen Klimaschutzministerium, das ebenfalls an einer Lösung arbeitete. Damit wurde das vorhandene Fachwissen nicht genutzt.

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine kamen die Staats- und Regierungschefs der EU überein, die „Abhängigkeit von der Einfuhr von Gas, Öl und Kohle aus der Russischen Föderation so bald wie möglich zu beenden“. Die EU-Kommission legte dazu am 18. Mai 2022 den „REPowerEU“-Plan vor. Seit 2022 hatte sich die Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas deutlich verringert. Der Rechnungshof empfiehlt, den Ausstieg aus russischem Gas jedoch nicht als isoliertes Ziel zu verfolgen, sondern im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Transformation des Energiesystems. Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Leistbarkeit für Haushalte, Gewerbe und Industrie sowie für die öffentlichen Haushalte wären dabei gleichermaßen im Auge zu behalten.

Presseinformation: Erdgas – Versorgungssicherheit

pdf Datei: 
4,845.7 KB
Umfang: 
130 Seiten

Bericht: Erdgas – Versorgungssicherheit

Der Rechnungshof überprüfte im Jahr 2023 das Thema Erdgas – Versorgungssicherheit. Ziele der Gebarungsüberprüfung waren insbesondere die Darstellung und Beurteilung der europäischen und nationalen Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit Erdgas, der Entwicklung der österreichischen Erdgasimporte im Zeitverlauf, von Optionen zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdgas, der Strategien und Positionen zur Versorgungssicherheit auf Ebene des Bundes, des Risikomanagements des Bundes sowie des Monitorings der Versorgungssicherheit im Bereich Erdgas.

Bericht: Erdgas – Versorgungssicherheit Herunterladen