Rechnungshof legt umfangreiche Prüfung zum TIWAG-Konzern vor
In seinem heute vorgelegten Bericht „TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG und Gemeinschaftskraftwerk Inn“ zeigt der Rechnungshof die Nähe zwischen der Landespolitik, Landesunternehmen und der Wirtschaft auf. Im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019 erzielte der TIWAG-Konzern Umsatzerlöse von 1,2 Milliarden Euro jährlich, davon entfielen 80 Prozent auf Strom, 17 Prozent auf Gas, der Rest auf Wärme und sonstige Umsätze. Die TIWAG beschäftigt rund 1.250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gemessen an der Höhe der Dividendenausschüttungen und der Kapitalausstattung hat der Rechnungshof somit das bedeutendste öffentliche Unternehmen Tirols unter die Lupe genommen. Die TIWAG steht zu 100 Prozent im Eigentum des Landes. Prüfzeitraum waren im Wesentlichen die Jahre 2015 bis 2019.
Viel Einfluss von Regierungsmitgliedern, Abgeordneten und Wirtschaftsfunktionären
Insgesamt hatte das Land Tirol zum Zeitpunkt der Prüfung 34 direkte und 118 indirekte Beteiligungen – vor allem in der Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Infrastruktur, Kultur, Wohnen und Verkehr. In fast einem Viertel der direkten Beteiligungen waren auch Mitglieder der Landesregierung oder Abgeordnete zum Landtag als Aufsichtsräte bestellt. Diese hatten in ihrer politischen Verantwortung vielfältige Interessen abzuwägen. In einer Aufsichtsratsfunktion waren sie dagegen allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der TIWAG ist Unternehmer, Vorstandsmitglied der Industriellenvereinigung Tirol und Spartenvertreter Industrie der Wirtschaftskammer Tirol, seine erste stellvertretende Vorsitzende ist Mitglied der Tiroler Landeregierung, der zweite stellvertretende Vorsitzende ist Vizepräsident der Wirtschaftskammer Tirol und Beiratsmitglied der Industriellenvereinigung Tirol. Das Spannungsverhältnis zeigt sich am Beispiel der TIWAG:
Konjunkturpaket und niedrigerer Strompreis auf Eigentümerwunsch
Gemäß Aktiengesetz sollte der Vorstand die Geschäftsführung unabhängig sowie weisungsfrei ausüben und das Unternehmenswohl sollte im Vordergrund stehen. Die TIWAG leistete dennoch einen bedeutenden Beitrag zu den im Landesinteresse gelegenen Konjunkturmaßnahmen: Für das Tiroler Impulspaket schüttete die TIWAG auf Ersuchen des Eigentümers 2016 und 2018 jeweils 20 Millionen Euro aus. Infrastruktur-Investitionen in der Höhe von 25 Millionen Euro wurden vorgezogen. Eine Strompreissenkung fiel auf Eigentümerwunsch zudem höher aus als vom Vorstand geplant und belastete das Jahresergebnis 2016 mit 18,6 Millionen Euro. Vor allem Gewerbe und die Industrie profitierten davon.
Fremdfinanzierte Dividenden
Bereits für das Jahr 2011 schüttete die TIWAG eine Sonderdividende von 230 Millionen Euro aus. Der Landeshauptmann als Eigentümervertreter begründete dies mit einem Dividendenvorgriff bis 2017. 220 Millionen Euro wurden für die in Not geratenen HYPO TIROL BANK AG genutzt. Die zugesagten sechs dividendenfreien Jahre wurden mit Verschiebungen zwar eingehalten, dennoch wurden in einzelnen Jahren beträchtliche Summen ausgeschüttet. Von 2012 bis 2019 wurden insgesamt 62 Millionen Euro ausbezahlt. Die Zahlungen der Jahre 2012 und 2016 bis 2019 konnten nicht aus eigener Kraft finanziert werden. Der Rechnungshof empfiehlt der TIWAG, Dividenden künftig nur in jener Höhe auszuschütten, die eine angemessene Finanzierung geplanter Investitionen gewährleistet und keine zusätzliche Fremdmittelaufnahme für die Dividenden erfordert.
Präsidialausschuss: Umfangreiche Befugnisse, keine Protokolle
Der Aufsichtsrat der TIWAG richtete einen Präsidialausschuss mit umfangreichen Entscheidungsbefugnissen ein. Er bestand aus dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats und seinen beiden Stellvertretungen. Von 2015 bis 2019 wurden dem Aufsichtsrat 86 vom Präsidialausschuss genehmigte Geschäftsfälle mit einem Gebarungsumfang von rund 334 Millionen Euro zur Kenntnis gebracht. Der Präsidialausschuss der TIWAG hielt im Zeitraum Jänner 2015 bis Juni 2019 keine Sitzungen ab und verfasste keine Protokolle zur Dokumentation seiner Entscheidungen. Die Ausschusstätigkeit war nur in den Aufsichtsratsprotokollen nachvollziehbar. Beschlüsse fasste er im Umlaufweg. Der Gesamtaufsichtsrat konnte die Plausibilität der Entscheidungen nur eingeschränkt nachvollziehen.
Möglicher Interessenkonflikt
Der Aufsichtsratsvorsitzende der TIWAG hatte in einer Unternehmensgruppe, die Baustoffe und Bindemittel erzeugte, mehrere Geschäftsführer- sowie Gesellschafterfunktionen inne. Die Unternehmensgruppe war auch Zulieferer für die von der Gemeinschaftskraftwerk Inn GmbH (GKI GmbH) mit der Errichtung des Gemeinschaftskraftwerks Inn direkt beauftragten Bauauftragnehmer. Aus Sicht der Prüferinnen und Prüfer konnte die „Besorgnis einer Befangenheit“ gemäß Aktiengesetz nicht vollständig entkräftet werden. In den Aufsichtsratsprotokollen waren keine Fragen zu einem möglichen Interessenkonflikt des Aufsichtsratsvorsitzenden dokumentiert. Der Rechnungshof empfiehlt der TIWAG, sicherzustellen, dass auch indirekte Aufträge an ein Unternehmen, an dem ein Aufsichtsratsmitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, dem Aufsichtsratsplenum offengelegt werden.
Gemeinschaftskraftwerk Inn: Projektkosten um ein Drittel überschritten
Das Gemeinschaftskraftwerk Inn war als Laufwasserkraftwerk im schweizerisch-österreichischen Grenzgebiet konzipiert. An dem 1982 erstmals eingereichten und in der Folge mehrfach wesentlich überarbeiteten Projekt waren ursprünglich drei Gesellschaften beteiligt: VERBUND AG, TIWAG und Engadiner Kraftwerke AG. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht war dieses Großprojekt zum Zeitpunkt des Baubeschlusses im Jahr 2014 unrentabel. Die Argumente der TIWAG, dass neben der reinen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auch Faktoren wie Versorgungssicherheit und Vorteile für das gesamte Kraftwerksportfolio der TIWAG bestünden, sind für den Rechnungshof nachvollziehbar. Die Prüferinnen und Prüfer kritisieren jedoch, dass die fehlende Rentabilität im Aufsichtsrat der TIWAG, beziehungsweise in den Gremien der GKI GmbH nicht im gebotenen Umfang diskutiert wurde.
Aufgezeigt werden im Bericht außerdem Gründe für Kostenerhöhungen und Zeitverzögerungen beim Bau des Kraftwerks, das im Juni 2022 statt im August 2018 in Vollbetrieb gehen soll. So wurden etwa Folgen der geologischen Bedingungen sowie potenzielle Naturereignisse unterschätzt. Die bewilligte Gesamtinvestitionssumme stieg im Laufe des Projekts von 460,9 Millionen Euro auf 604,6 Millionen Euro. 41 Millionen Euro fielen davon für Umwelt- und Gesundheitsschutzmaßnahmen an. Die budgetierten Projektkosten erhöhten sich insgesamt seit dem Baubeschluss im Juni 2014 bis zum Oktober 2018 um ein Drittel.
Presseinformation: TIWAG–Tiroler Wasserkraft AG und Gemeinschaftskraftwerk Inn
- pdf Datei:
- 6,129.0 KB
- Umfang:
- 156 Seiten
Bericht: TIWAG–Tiroler Wasserkraft AG und Gemeinschaftskraftwerk Inn
Der RH überprüfte von September bis Dezember 2019 die TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) und das Land Tirol als Alleineigentümer der TIWAG. Prüfungsziel war die Beurteilung der Wahrnehmung des Beteiligungsmanagements und der Eigentümerfunktion des Landes Tirol insbesondere mit Bezug auf die TIWAG, der Unternehmensführung der TIWAG nach den Maßstäben der Corporate Governance für öffentliche Unternehmen und des Compliance Management Systems der TIWAG. Weiters überprüfte der RH das Gemeinschaftskraftwerk Inn hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Investition, der Ursachen für Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen sowie der Umsetzung von Umwelt- und Gesundheitsschutzauflagen einschließlich deren voraussichtlicher Kosten.