COVID-19-Pandemie: Herausforderungen des Krisenmanagements bislang ungelöst

03.06.2022 – Zusammenarbeit aller wesentlichen Akteure muss gewährleistet werden

„Der Bund hatte die im Pandemiefall notwendigen organisatorischen Strukturen und personellen Grundvoraussetzungen nicht sichergestellt.“ Zu diesem Schluss kommen die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofes in ihrem heute veröffentlichten Bericht „Pandemiemanagement der Gesundheitsbehörden im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie“. Der Gesundheitsminister/die Gesundheitsministerin ist als oberstes Organ für das Pandemiemanagement zuständig. Zwischen Bund und Ländern blieb jedoch oftmals unklar, wer welche Verantwortung zu tragen hat. Zu unkoordiniertem Handeln kam es zudem auch auf Bundesebene.

Im Bericht wird aufgezeigt, welche Lehren für ein effizienteres und wirksameres Pandemiemanagement zu ziehen sind. So wären etwa ein Entwurf für ein modernisiertes Epidemiegesetz vorzubereiten, Personalressourcen sicherzustellen und ein neuer nationaler Pandemieplan zu entwickeln. Die Zusammenarbeit aller wesentlichen Akteure ist zu gewährleisten.

Zusammenfassend hält der Rechnungshof fest, „dass die Herausforderungen des Krisenmanagements in der COVID-19-Pandemie bislang ungelöst waren. Die seit Ausbruch der Pandemie gemachten Erfahrungen wurden zu wenig genutzt, um das Krisenmanagement im Sinne von Lessons Learned weiterzuentwickeln“.  

Verantwortung des Gesundheitsministers: Pandemievorsorge und Pandemiemanagement


Sowohl die Pandemievorsorge als auch das Pandemiemanagement im Bereich Gesundheit sind Aufgaben des Bundes und werden in mittelbarer Bundesverwaltung von Landesbehörden vollzogen. Strategische Entscheidungen und die Entwicklung geeigneter gesundheitsbehördlicher Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie obliegen dem Gesundheitsminister. Als oberstes Organ hat er das Pandemiemanagement der Gesundheitsbehörden, also der Landeshauptleute und der Bezirksverwaltungsbehörden, zu leiten, zu steuern und bundesweit zu koordinieren. Die Landeshauptleute sind für den Vollzug der Verordnungen und Weisungen aus dem Gesundheitsministerium durch die Bezirksverwaltungsbehörden verantwortlich.

Dennoch blieb zwischen Bund und Ländern im laufenden Krisenmanagement oftmals unklar, wer wofür verantwortlich war, wer in der Praxis welche Entscheidungen zu treffen und wer diese umzusetzen hatte. Deshalb kam es auch zu Doppelgleisigkeiten. So führten die Länder neben dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) des Bundes eigene IT-Anwendungen zur Infektionserfassung ein. Entscheidungen wurden häufig verzögert getroffen. So wurden zum einen härtere Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung notwendig und zum anderen erforderten die zu spät gefällten Entscheidungen eine längere Dauer der Maßnahmen, um die erforderliche Schutzwirkung zu entfalten.

Abweichende Zahlen der Krisenstäbe

Zu unkoordiniertem Handeln kam es nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch auf Bundesebene selbst – zwischen dem Gesundheitsministerium und dem Innenministerium. Obwohl für das Pandemiemanagement ausschließlich der Gesundheitsminister und sein Krisenstab zuständig waren, erhob auch das Innenministerium gemeinsam mit den Ländern im Rahmen des Staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements (SKKM) – einem informellen Koordinationsinstrument ohne Verfahrensregeln – täglich die Zahlen zur pandemischen Lage. Die vom Innenministerium veröffentlichten Kennzahlen wichen von jenen des Gesundheitsministeriums ab. Die mangelhafte Konsistenz der Daten erschwerte nicht nur evidenzbasiertes Handeln auf Seiten der Behörden. Es wirkte sich auch ungünstig auf deren Glaubwürdigkeit und damit auf die Akzeptanz und Wirksamkeit der Maßnahmen des Pandemiemanagements aus.

Schutz der öffentlichen Gesundheit einheitlich gewährleisten

Der Rechnungshof empfiehlt: Der Schutz der öffentlichen Gesundheit wäre bundesweit einheitlich zu gewährleisten. Der Gesundheitsminister hätte hierzu seine Rolle aktiv wahrzunehmen und die für das Pandemiemanagement notwendigen Maßnahmen der Gesundheitsbehörden in den Ländern (wie etwa Schutzimpfungen, Testungen oder Verkehrsbeschränkungen) stärker zu leiten, zu steuern und zu koordinieren. Bei mangelnder Wirksamkeit der Maßnahmen sollte der Gesundheitsminister eingreifen und gegensteuern.

Die Möglichkeit der Landesbehörden, zu den Verordnungen des Gesundheitsministers zusätzliche regionale beziehungsweise lokale Maßnahmen gegen COVID-19 zu erlassen, ermöglichte zwar ein an die Infektionslage angepasstes regionales Vorgehen, barg aber auch die Gefahr einer nicht eindeutigen Verantwortung von Bundes- und Landesebene beim Pandemiemanagement.

Nationaler Pandemieplan veraltet und ungeeignet

Zum Zeitpunkt des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie war kein aktueller nationaler Pandemieplan vorhanden. Der letzte offizielle und veröffentlichte „Influenza Pandemieplan – Strategie für Österreich“ stammte aus dem Jahr 2006. Er war daher auch nicht an das aktuelle Pandemiephasenschema der WHO angepasst. Somit fehlte eine Grundlage für aktuelle Pandemiepläne der Länder.

Der Rechnungshof hält kritisch fest, dass sowohl die WHO als auch das Gesundheitsministerium und das Verteidigungsministerium im Jahr 2019 – noch vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie – Mängel in der Pandemievorsorge festgestellt hatten. Das mit diesen Mängeln verbundene Risiko stuften sie als hoch ein. Neben der ausbleibenden Aktualisierung der Pandemiepläne und fehlenden regelmäßigen Übungen des Zusammenwirkens aller Beteiligten wurde auch der Personalmangel auf Bundes- und Landesebene als Risiko identifiziert.

Zusammenarbeit aller wesentlichen Akteure gewährleisten

Gemeinsam mit den Ländern wäre für das laufende Pandemiemanagement sowie künftige Pandemien anhand der bisherigen Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie ein neuer allgemeiner nationaler Pandemieplan zu entwickeln. Damit sollten im Fall einer neuen Pandemie die wechselseitige Information und Zusammenarbeit aller wesentlichen Akteure (Gesundheitsbehörden, Krankenversicherungsträger und Krankenanstalten) gewährleistet werden.

Schlüsselfunktionen wurden für längeren Zeitraum nicht nachbesetzt

In für die öffentliche Gesundheit wesentlichen Schlüsselfunktionen gab es ab einer internen Umorganisation im Jahr 2018 keine Kontinuität mehr. Denn: Die bis dahin zweckmäßige Struktur wurde verändert und bestimmte Positionen wurden für einen längeren Zeitraum nicht nachbesetzt. Die seit 2019 vakante Position für die „Generaldirektion für öffentliche Gesundheit“ besetzte das Gesundheitsministerium nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie erst Ende 2020. Die dreijährige Funktionsperiode der Mitglieder des Obersten Sanitätsrats (31 Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, Wissenschaft und Österreichischen Apothekerkammer) lief Ende 2019 aus. Die Neubestellung erfolgte erst im März 2021.

In Kombination mit der mangelhaften Personalausstattung in den Fachabteilungen des Bereichs Öffentliche Gesundheit führte dies zu einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Gesundheitsministeriums.

Laut Stellungnahme des Gesundheitsministeriums sei der vom Rechnungshof festgestellte  Sachverhalt auch im Jahr 2022 aufrecht. Da die vorhandenen Personalressourcen nach wie vor nicht mit den Anforderungen in Einklang stünden, seien sowohl Sonderverträge als auch Personalleihen unverzichtbar.Der Rechnungshof kann nicht nachvollziehen, warum die Bundesregierung die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nicht nutzte, um auf eine Ausnahmesituation wie die COVID-19-Pandemie mit entsprechender Flexibilität bei der Planstellenbewirtschaftung zu reagieren.

Epidemiegesetz nicht zeitgemäß – Krisenmechanismus ist zu schaffen

Das für die Bekämpfung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten bundesweit geltende Epidemiegesetz stammte in seiner Grundform aus dem Jahr 1913. Bei Ausbruch der COVID-19-Pandemie war es nicht mehr zeitgemäß. Zwar erarbeitete das Gesundheitsministerium im Laufe der COVID-19-Pandemie mehrere Novellen des Epidemiegesetzes; die geforderte umfassende Modernisierung konnte damit aber nicht verwirklicht werden.

Umso wichtiger waren auch klare – das Epidemiegesetz präzisierende – Vorgaben für ein österreichweit abgestimmtes und wirksames Vorgehen der Gesundheitsbehörden. Der Gesundheitsminister hatte die ihm hierfür zur Verfügung stehenden Instrumente wie Erlässe, Verordnungen und Weisungen aber nicht ausreichend genutzt.

Der Rechnungshof empfiehlt dem Gesundheitsministerium, einen Entwurf für ein modernisiertes Epidemiegesetz vorzubereiten und im Wege des Ministerrats dem Nationalrat vorzulegen. Darin wäre zum Beispiel die Zusammenarbeit der Behörden untereinander deutlich detaillierter zu regeln. Im Ergebnis sollte ein rechtlicher Rahmen für einen Krisenmechanismus mit klaren Abläufen und Verantwortlichkeiten sowohl für die erforderlichen Maßnahmen als auch für deren Kommunikation nach außen geschaffen werden.

Presseinformation: Pandemiemanagement der Gesundheitsbehörden im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie


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96 Seiten

Bericht: Pandemiemanagement der Gesundheitsbehörden im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie

Der RH überprüfte das Pandemiemanagement der Gesundheitsbehörden im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie. Die Überprüfung umfasste das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Länder Kärnten und Niederösterreich sowie die Stadt Wien. Prüfungsziel war es, zum einen die Funktionalität der gesundheitsbehördlichen Strukturen zu beurteilen und zum anderen, ob die für ein erfolgreiches operatives Zusammenwirken der Gesundheitsbehörden beim Pandemiemanagement erforder­lichen Kriterien erfüllt waren, wie ein aktueller Pandemieplan, funktionierende Koor­dination und Kommunikation und klare Vollzugsvorgaben.

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