Österreichs Schulsystem nach wie vor komplex

16.10.2020 – Verbleib der HTL Spengergasse im zentralen Verwaltungsbereich des Bildungsministeriums nicht nachvollziehbar

In seinem heute vorgelegten Bericht „HTL Spengergasse“ hält der Rechnungshof fest, dass auch die Bildungsreform 2017 nicht dazu führte, das gesamte Schulsystem unter einem Dach – den Bildungsdirektionen – anzusiedeln. Die HTL Spengergasse in Wien fällt als Zentrallehranstalt direkt in den Verwaltungsbereich des Bundes. Kurzum: Sie ist dem Bildungsministerium unterstellt. Mit den Zentrallehranstalten sind Parallelstrukturen verbunden, die das österreichische Schulsystem unübersichtlicher und komplexer gestalten.

Geprüft wurden die Schuljahre 2015/16 bis 2018/19 beziehungsweise die Kalenderjahre 2015 bis 2018. Die Prüfung fand vor der COVID-19-Pandemie und ihren Auswirkungen auf den Schulbetrieb statt.

Rechnungshof erachtet Weiterführung der Versuchsanstalt als kritisch

Die HTL Spengergasse bietet ein breites Spektrum an zeitgemäßen Ausbildungen in verschiedenen Bereichen wie etwa Informatik, Interior- und Surfacedesign, Mediendesign, Biomedizin- und Gesundheitstechnik sowie Wirtschaftsingenieurwesen. Der HTL ist auch eine Versuchsanstalt für Textil und Informatik – also eine Prüf-, Begutachtungs- und Fortbildungsanstalt für diese Bereiche – angeschlossen. Die Versuchsanstalt war als Kooperationspartner mit der Wirtschaft und als Unterstützung für eine praxisnahe Ausbildung gedacht. Der Rechnungshof erachtet die Entwicklung der Versuchsanstalt für ihren weiteren Bestand jedoch als kritisch. Denn: Neben den Verlusten seit dem Jahr 2015 und der rückläufigen Entwicklung der Einnahmen aus dem Textilbereich werden mittelfristig kaum Lehrpersonen für Aufträge aus diesem Bereich zur Verfügung stehen. Außerdem gab es im überprüften Zeitraum kaum Aufträge im Bereich Informatik und keine Kooperation zwischen Schulbetrieb und Versuchsanstalt. Nach Ansicht des Rechnungshofes sind strategische Überlegungen zur zukünftigen Positionierung und Weiterentwicklung der Versuchsanstalt unabdingbar.

Unterrichtsgarantie: Differenzen bei Daten von Ministerium und HTL Spengergasse

Seit 2005 gibt es für alle österreichischen Schulen eine Unterrichtsgarantie. Hierbei sollte nur noch ein Stundenausfall von maximal fünf Prozent pro Unterrichtsgegenstand und insgesamt fünf Prozent pro Klasse toleriert werden. Weder in der HTL Spengergasse noch im Bildungsministerium waren zur Zeit der Prüfung zuverlässige Daten zur effektiven Unterrichtszeit vorhanden. Die vorliegenden Daten wichen zudem deutlich voneinander ab. Folglich ist nicht bekannt, wie viel der vorgesehenen Unterrichtszeit tatsächlich fachbezogen abgehalten wurde beziehungsweise wie hoch die Rate der entfallenen Unterrichtsstunden war. Die Prüferinnen und Prüfer kritisieren, dass trotz der seit 2005 bestehenden Unterrichtsgarantie kein regelmäßiges Controlling durchgeführt wurde. Die Empfehlung des Rechnungshofes lautet daher: Das Bildungsministerium sollte zuverlässige und einheitliche Datengrundlagen für die Auswertung der effektiven Unterrichtszeit schaffen und den Schulen detaillierte Auswertungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, die sämtliche Absenzgründe berücksichtigen. Weiters empfiehlt der Rechnungshof der HTL Spengergasse und dem Bildungsministerium, die Einhaltung der Unterrichtsgarantie je Unterrichtsgegenstand, Klasse und Schule unterjährig regelmäßig zu überprüfen, um bei erhöhten Entfallszahlen rechtzeitig gegensteuern zu können.

Verbleib der HTL Spengergasse im zentralen Verwaltungsbereich des Ministeriums nicht nachvollziehbar

Während AHS und BMHS von den Bildungsdirektionen verwaltet werden, sind die fünf Zentrallehranstalten dem Bildungsministerium unterstellt. Dies ist historisch bedingt. Die direkte Unterstellung der Zentrallehranstalten unter das Ministerium wirkt sich auf deren Schülerinnen und Schüler sowie auf das dort beschäftigte Personal aus. Die mit den Zentrallehranstalten verbundenen Parallelstrukturen tragen zur Komplexität des österreichischen Schulsystems bei. Allerdings: Die Zentrallehranstalten zeichnen sich durch eine günstige Ressourcensituation des Lehrpersonals aus. Die günstige Ressourcensituation im Vergleich zum Österreich-Durchschnitt wäre im Fall der Verlagerung der Zentrallehranstalten an die Bildungsdirektionen aufrecht zu erhalten. Der Rechnungshof empfiehlt: Das Bildungsministerium sollte die Vor- und Nachteile der direkten Unterstellung der Zentrallehranstalten unter das Ministerium abwägen und eine finanzielle Gegenüberstellung der Zentrallehranstalten zu den Bundesschulen einbeziehen. Gegebenenfalls wäre mit den Bildungsdirektionen eine zumindest kostenneutrale Verlagerung der Zentrallehranstalten an die jeweilige Bildungsdirektion abzustimmen.

Presseinformation: HTL Spengergasse

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128 Seiten

Bericht: HTL Spengergasse

Der Rechnungshof überprüfte von Mai bis Juli 2019 die Gebarung der Höheren technischen Bundeslehr– und Versuchsanstalt für Textilindustrie und Datenverarbeitung Spenger­gasse in Wien. Prüfungsziel war es, das Ausbildungsangebot ebenso wie die Entwicklung der Schüler– und Absolventenzahlen, die Organisation, den Personaleinsatz unter Berücksichtigung der effektiven Unterrichtszeit, den Nutzen der Versuchs­anstalt für die Schule und die finanzielle Entwicklung zu beurteilen. Weiters analysierte der Rechnungshof die Zweckmäßigkeit der unmittelbaren Verwaltung der Zentrallehr­anstalten durch das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Der überprüfte Zeitraum umfasste die Schuljahre 2015/16 bis 2018/19 bzw. die Kalenderjahre 2015 bis 2018. Die Gebarungsüberprüfung fand vor der COVID–19–Pandemie und ihren Auswirkungen auf den Schulbetrieb statt.

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