Rechnungshof sieht „dringenden Handlungsbedarf“ bei Gesundheitsvorsorge

13.01.2023 – Reformierter Mutter-Kind-Pass sollte zügig umgesetzt werden 

Die Zahl der gesunden Lebensjahre ist in Österreich in der Zeit von 2014 bis 2019 um 1,6 Jahre gesunken. Im heute vorgelegten Bericht "Gesundheitsförderung und Prävention" zeigt der Rechnungshof auf, welche Maßnahmen verfolgt werden sollten, um die gesunden Lebensjahre – so wie geplant – zu erhöhen. Außerdem kritisiert er, dass der reformierte Mutter-Kind-Pass, in dem etwa ein Hörscreening für Neugeborene vorgesehen ist, nach wie vor nicht umgesetzt ist. Der Nationalrat hatte den Rechnungshof mit einer Prüfung zu 27 Themen beauftragt. Der Rechnungshof legte dazu die drei Berichte "Gesundheitsförderung und Prävention", "Ärzteausbildung" und "Ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich" vor.

Der überprüfte Zeitraum für diesen Bericht umfasste im Wesentlichen die Jahre 2013 bis 2019. Einzelne Feststellungen betrafen auch die Jahre 2020 und 2021.

Gesunde Lebensjahre nahmen ab

Bis zum Jahr 2032 sollte jeder Mensch in Österreich zwei Lebensjahre mehr in Gesundheit verbringen. Das beschloss der Ministerrat 2012 als eines von zehn "Gesundheitszielen Österreich". Tatsächlich hat sich die Gesundheitssituation jedoch verschlechtert. So hatte man laut Statistik Austria im Jahr 2019 im Alter von 65 Jahren durchschnittlich noch mit 9,75 gesunden Lebensjahren zu rechnen. 2014 lag dieser Wert bei 11,35 gesunden Lebensjahren. Der Rechnungshof hält kritisch fest: Nach rund einem Drittel der Geltungsdauer der Gesundheitsziele sind die gesunden Lebensjahre nicht gestiegen, sondern im Zeitraum 2014 bis 2019 sogar um 1,6 Jahre gesunken. Nationale und internationale Analysen führen dies unter anderem darauf zurück, dass der Anteil der Bevölkerung mit chronischen, nicht übertragbaren Erkrankungen – wie Adipositas oder psychische Erkrankungen – in Österreich hoch ist. Nach wie vor ist der Bedarf an zielgerichteten Präventionsmaßnahmen groß. 

Dringender Handlungsbedarf

Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO zur globalen Krankheitslast war die Gesundheit der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Region am stärksten durch Ernährungsfaktoren bedroht. 2001 rief die WHO ihre europäischen Mitgliedstaaten in mehreren Aktionsplänen zu einer gezielten Nahrungs- und Ernährungspolitik auf. Österreich erstellte den ersten Nationalen Aktionsplan Ernährung erst im Jahr 2011; seit 2013 wurde dieser nicht aktualisiert.

Gemäß der Österreichischen Gesundheitsbefragung ist der Anteil der übergewichtigen und adipösen Menschen ab 15 Jahren von 2014 bis 2019 um vier Prozentpunkte auf 51 Prozent gestiegen. Diese Daten basierten allerdings auf der Selbsteinschätzung der Befragten, die oft ein zu niedriges Gewicht angaben. Der Rechnungshof sieht dringenden Handlungsbedarf. Die Gesundheitskompetenz wäre in allen Teilen der Bevölkerung zu stärken. 

Werbeverzicht und verbindliche Vorgaben für Lebensmittelindustrie

Das Gesundheitsministerium verfolgte das Ziel, zur Verbesserung der Ernährung von Kindern beizutragen. Die meisten Maßnahmen waren jedoch nicht verbindlich. Der Rechnungshof empfiehlt dem Gesundheitsministerium, auf die Umsetzung des Werbeverzichts für bestimmte Lebensmittelkategorien vor, während und nach Kindersendungen von audiovisuellen Mediendiensten hinzuwirken. Und: Die Wirkung der Absichtserklärungen und Brancheninitiativen zur Reduzierung des Zucker- und Salzgehalts in Lebensmitteln wäre zu evaluieren. Bei Bedarf wären verbindliche Vorgaben zu prüfen und einzuleiten.

Reformierter Mutter-Kind-Pass wäre zügig umzusetzen

Ein zentrales Instrument der Gesundheitsförderung und Prävention ist der Mutter-Kind-Pass. Das Gesundheitsministerium erkannte Änderungsbedarf hin zu einem zeitgemäßen und evidenzbasierten Modell. 2010 ließ es durch das Ludwig Boltzmann Institut Health Technology Assessment umfangreiche Grundlagen dazu erarbeiten. Erst im Frühjahr 2019 – rund zehn Jahre nach Start des Reformprozesses – gab es einen Plan zu Umsetzung. Im überarbeiteten Mutter-Kind-Pass-Programm wären beispielsweise ein Hörscreening für Neugeborene und Beratungen, etwa zu den Themen Passivrauchen, Ernährung, Mundgesundheit und Unfallverhütung vorgesehen.
Basierend auf dem Österreichischen Aufbau- und Resilienzplan 2020–2026 genehmigte der Rat der Europäischen Union im Jahr 2021 ein Projekt Österreichs zur Entwicklung einer elektronischen Mutter-Kind-Pass-Plattform bis 2026. Laut Stellungnahme des Gesundheitsministeriums sollen dafür bis zum zweiten Quartal 2023 die Rechtsgrundlagen vorliegen. Bis zum vierten Quartal 2023 sei die Programmierung auszuschreiben. Und bis zum zweiten Quartal 2026 soll der Anteil der betreuenden Ärztinnen und Ärzte sowie der Frauen, die den Mutter-Kind-Pass nutzen, 90 Prozent erreichen.

Im November 2022 kündigte die Bundesregierung schließlich an, dass der neue, digitale Eltern-Kind-Pass bis 2024 fertig sein soll. Angesichts der angekündigten Einführung eines neuen digitalen Eltern-Kind-Passes verweist der Rechnungshof darauf, dass die bereits bis 2019 erarbeiteten Änderungen des Mutter-Kind-Passes Ende 2022 noch nicht umgesetzt waren. Auch die Finanzierung war noch nicht final geklärt. Daher bekräftigt er seine Empfehlung, auf die zügige Umsetzung hinzuwirken.

Bewegungsinitiative kam zum Stillstand

Im September 2018 präsentierten die damalige Gesundheitsministerin und der damalige Sportminister die Initiative „Mach den ersten Schritt“. Das Ziel: Eine Verhaltensänderung bei jenen Menschen zu bewirken, die sich kaum bewegen. Ab Anfang 2019 wollten die Ministerien 100 Basisübungen bewerben. Die Umsetzung im geplanten Ausmaß unterblieb, denn: Mitte Mai 2019 trat der Sportminister zurück. Ende Mai 2019 wurde die Bundesregierung nach einem Misstrauensvotum ihres Amtes enthoben. Die Übergangsregierung verfolgte die Initiative nicht weiter. Die Website wurde deaktiviert, Videos wurden aus dem Netz genommen.

Im Mai 2019 – zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden Ministerien bereits 770.000 Euro für die Initiative verausgabt – legten drei Unternehmen auf Anfrage des Sportministeriums Angebote für eine Motivanalyse. Bei den drei Unternehmen handelte es sich einerseits um das beauftragte Unternehmen, an dem eine ehemalige Bundesministerin beteiligt war, und andererseits um zwei dem Sportministerium von diesem Unternehmen empfohlene Anbieter. Dieses Vorgehen war – ungeachtet einer allfälligen strafrechtlichen Relevanz – nicht geeignet, Transparenz sowie den gebotenen Wettbewerb sicherzustellen. Aufgrund des Rücktritts des Sportministers und der darauffolgenden Regierungsumbildung verzögerte sich die Auftragsvergabe. Im September 2019 schloss das Sportministerium schließlich den Werkvertrag ab. 

2,441 Milliarden Euro für Gesundheitsförderung und Prävention

Einen Gesamtüberblick über die öffentlichen Ausgaben im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention ließ das Gesundheitsministerium zuletzt im März 2019 mit Daten des Jahres 2016 erheben. Demzufolge lagen die Ausgaben für Gesundheitsförderung und Prävention im Jahr 2016 bei 2,441 Milliarden Euro. Davon gab die Sozialversicherung den größten Teil aus: 2,124 Milliarden Euro – das sind 87 Prozent aller Mittel. 1,475 Milliarden Euro flossen in die sogenannte Tertiärprävention. Dazu zählen Maßnahmen, die einen Rückfall, eine Chronifizierung oder einen Folgeschaden verhindern oder lindern sollen.

Für die Gesundheitsförderung wurden 2016 rund 69,84 Millionen Euro sowie 296,61 Millionen Euro für die Primärprävention, also für die Verhinderung von Krankheit, ausgegeben. 2014 beschlossen Bund, Länder und Sozialversicherung im Rahmen der Bundes-Zielsteuerungskommission eine gemeinsame Gesundheitsförderungsstrategie. Allerdings war diese Strategie nur für einen Teil der Mittel verbindlich. Zudem wurden erfolgreiche Projekte bis 2021 nicht nachhaltig abgesichert.

Der Rechnungshof empfiehlt dem Gesundheitsministerium, mit den Partnern der Zielsteuerung-Gesundheit eine nachhaltige Finanzierung für erfolgreiche Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention zu sichern, die Mittel einer gemeinsamen verbindlichen Strategie zu unterstellen und so den zielgerichteten und abgestimmten Einsatz der Mittel aller Partner (Bund, Länder, Sozialversicherung) zu stärken.

Datenlage soll verbessert werden

In ihrem Bericht machen die Prüferinnen und Prüfer auf zahlreiche weitere Aspekte zum Thema Prävention aufmerksam: So versterben in Österreich rund 2.400 Menschen pro Jahr nach Ansteckungen mit Keimen in Krankenhäusern. Das sind sechsmal mehr Todesfälle als im Straßenverkehr. Durch entsprechende Hygienemaßnahmen würden sich 20 bis 30 Prozent der Todesfälle verhindern lassen. Zum Auftreten von Gesundheitssystem-assoziierten Infektionen im niedergelassenen Bereich verfügte das Gesundheitsministerium über keine Daten. Daten vermisst der Rechnungshof auch in weiteren Belangen: Das betrifft etwa die Durchimpfungsrate sowie aktuelle österreichweite Daten zum Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen. Weiters empfiehlt er, die Datenqualität zur Vorsorgeuntersuchung und die Berichte darüber zu verbessern, um die Erkenntnisse daraus für eine Steuerung der Gesundheitsförderung und Prävention nutzen zu können.


Presseinformation: Gesundheitsförderung und Prävention

pdf Datei: 
5,193.8 KB
Umfang: 
148 Seiten

Bericht: Gesundheitsförderung und Prävention

Der Rechnungshof überprüfte auf Beschluss des Nationalrats die Gesundheitsförderung und Prävention. Die Gebarungsüberprüfung umfasste das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz bzw. seit Jänner 2020 das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.

Ziel der Gebarungsüberprüfung war die Beurteilung von rechtlichen, organisatorischen, finanziellen und personellen Maßnahmen des Gesundheitsministeriums im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention. Ergänzende Erhebungen führte der Rechnungshof beim Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport durch. Der überprüfte Zeitraum umfasste im Wesentlichen die Jahre 2013 bis 2019, wobei der RH entsprechend der Verfügbarkeit von Unterlagen auch die Jahre 2009 bis 2012 einbezog. Einzelne Feststellungen betrafen auch die Jahre 2020 und 2021. Im Ablauf der Gebarungsüberprüfung kam es COVID-19-bedingt zu einer Unterbrechung.

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